Heimat Syrien
Wir möchten euch heute den Lebens- und Ausbildungs-Weg einer ehemaligen Teilnehmerin vorstellen, die mit viel Frauenpower ein besonderes Best Practice Beispiel darstellt: Thanyia wurde 1989 in Syrien, in der Stadt Homs (180 km nördlich der Hauptstadt Damaskus), geboren und wuchs in der Nähe in einem kleinen Dorf namens Saan auf. Bis zu ihrem 12. Lebensjahr besuchte sie eine Dorfschule. Anschließend fuhr sie jeden Tag mit dem Bus nach Homs, wo sie eine weiterführende Schule besuchte, die sie mit dem Abitur abschloss.
Wie sah ihre Zukunft nach der Schule aus? Was wollte sie machen? Welchen Beruf sollte sie lernen? Viele Fragen wirbelten in ihrem Kopf herum. Ihr größter Wunsch war es, Journalistin zu werden. Sie dachte, dass nur dieser Beruf ihr die Möglichkeit gäbe, den einfachen Menschen ihres Volkes eine Stimme zu verleihen. Aber sehr schnell musste sie merken, dass eine aufrichtige und gerechtigkeitsliebende Journalistin nur in einem freien Land, ohne permanente Angst um ihr eigenes Leben, arbeiten kann.
So gab sie ihren Traum auf und folgte dem Wunsch der Eltern, in dem sie sich für ein Maschinenbaustudium an der AL BAATH Universität in Homs einschrieb. An ihr Studium hat sie nur schöne Erinnerungen. Sie war eine fleißige Studentin, die das Studium schnell und erfolgreich abgeschlossen hat.
Nach dem Studium wollte sie entweder in ihrem Heimatland arbeiten oder ihren Master-Abschluss in Kanada oder Deutschland machen. Der Wunsch nach Deutschland zu kommen, ist in Erfüllung gegangen. Allerdings aus ganz anderen Gründen, als sie es sich gewünscht hätte.
Leben mit dem Krieg
Der Krieg in Syrien begann und ihre Familie befand sich in einer Blockade. Die Situation war so gefährlich, dass sie und ihre drei Schwestern zwei Jahre lang das Haus nicht verlassen konnten. Ihre Eltern und Brüder kümmerten sich um die Beschaffung von Lebensmitteln und um alles, was zum (Über-) Leben nötig war. Am liebsten würde Thanyia diese Zeit aus der Erinnerung löschen. All ihre Zukunftspläne waren zerplatzt, aber sie gab nicht auf, denn „selbst ist die Frau“. Um die Zeit des „Hausarrests“ sinnvoll zu verbringen, fing sie an, Englisch zu lernen: selbstständig, zu Hause, mit dem Computer übers Internet – Frauenpower pur! Sie nutzte jede Gelegenheit, um sich weiterzubilden.
Früher dachte sie, dass sie Syrien nie verlassen würde – sie hatte das Gefühl, sie würde das eigene Land „verraten“, wenn sie es verließe. Jedoch, wenn es um Leben und Tod geht, trifft man oft andere Entscheidungen. Da schließlich nur noch die Männer (ihr Vater und ihre Brüder) aus dem Haus gingen, blieben die Frauen (Mutter und ihre 4 Schwestern) immer allein zurück. Die Gefahr, überfallen, entführt oder ermordet zu werden stieg damit immens. Und so kam die Entscheidung, Syrien zu verlassen, auf einmal ganz plötzlich: innerhalb weniger Tage packte ihre Familie 2015 die notwendigsten Sachen und machte sich auf den langen Weg nach Deutschland.
Neue Heimat Deutschland?
Die ersten Tage in Deutschland waren für sie und ihre Familie sehr schwer. Alles war so fremd! Thanyia war aber von der ersten Minute an klar, dass sie so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen musste. Sie fing mit der Methode an, die sich bereits für sie bewährt hatte; sie lernte Deutsch über YouTube Videos! Zudem nutzte sie jede Gelegenheit, Deutsch zu sprechen: mit der Security in der Notunterkunft, mit dem Busfahrer oder dem Arzt. So erinnert sie sich an ihren ersten Besuch beim Zahnarzt. Damals musste sie sich noch auf Englisch verständigen, aber schon beim nächsten Termin nach zwei weiteren Monaten in Deutschland, konnte sie sich mit dem Zahnarzt auf Deutsch verständigen. Sie war sich oft noch unsicher, die Sprache war noch „gebrochen“, aber der Arzt hat sie verstanden und sie gelobt. Das machte sie stolz, es hat sie aufgemuntert und motiviert! Thanyia findet die deutsche Sprache nicht einfach, aber nach ihrer Erfahrung ist es nicht unmöglich, sie zu erlernen.
Thanyias Weg im BIMS
Auf die Frage, welche Rolle das BIMS in ihrem Leben gespielt hat, antwortet sie, dass sie die Sprachschule in schöner Erinnerung behalten wird. Dass sie alle Kurse zusammen mit ihrer Schwester besuchen konnte, steigerte neben dem Frauenpower den Spaßfaktor enorm! Damals entstandene Kontakte zu anderen Teilnehmer/innen pflegt sie bis heute.
Thanyia startete im BIMS mit dem Einstiegskurs an unserem Standort in Steinfurt und absolvierte nach und nach alle vom BAMF geförderten Sprachkurse bis zum Erreichen des Sprach-Niveaus C1.
Im Allgemeinen Integrationskurs, den sie von 06/2016 – 03/2017 absolvierte, begleitete sie ihre Lehrerin Lili Panchulidze-Brönstrup. Dann folgte der Berufssprachkurs B2 (05/17 – 09/17) bei Nizar Toulli und der Berufssprachkurs C1 (02/18 – 06/18) bei Daniel Mattner. Thanyia war kein Weg zu weit, für den C1-Kurs fuhr sie bis zur BIMS-Zentrale nach Münster.
Thanyia weist explizit auf die Vorteile des Lernens in der Sprachschule gegenüber dem Lernen im Internet hin. Im BIMS bekommt man immer Unterstützung von Lehrer/innen, was gerade am Anfang des Lernens von sehr großer Bedeutung ist. Thanyia war fleißig dabei und konnte im Unterricht ihr Hörverstehen und Schreiben schnell verbessern. Am liebsten schrieb sie tatsächlich die verschiedenen Tests, die sie als kleine oder auch als große Herausforderungen ansah: „Werde ich das schaffen und wenn ja, mit wie vielen Punkten? Wer ist besser? Meine Schwester oder ich?“. Diese Tests brachten sie nicht nur sprachlich weiter, sondern schärften auch ihre Selbsteinschätzung.
Thanyias Fazit
Thanyia empfiehlt anderen Geflüchteten niemals aufzugeben. Neuen Teilnehmenden rät sie einerseits den Lehrer/innen zu vertrauen, andererseits aber nie zu vergessen, dass jeder fürs Lernen selber verantwortlich ist: „Die Sprache ist keine Tablette, die man nehmen kann und schon spricht man Deutsch, man muss viel Zeit und Energie in das Lernen investieren.“
Sie gibt zu, dass ihr das Studium oft schwerfällt. Ja, ihr habt richtig gelesen: Thanyia studiert jetzt in Steinfurt an der Fachhochschule wieder Maschinenbau. Ihr Ziel ist der Master-Abschluss. Aber sie zweifelt nicht, sie macht energisch weiter, arbeitet an sich und ihren Sprachkenntnissen. Und das Wichtigste ist, dass sie auf sich selbst hört und nicht auf die Meinung derer, die schon längst aufgegeben haben. „Sei fleißig – dann kannst du was erreichen!“, ist ihr Motto. Das ist Frauenpower!
Thanyia möchte sich insbesondere an junge geflüchtete Frauen wenden, die sich ein neues Leben hier in Deutschland aufbauen wollen. Sie empfiehlt ihnen, die verschiedenen Bildungsmöglichkeiten, die es in ihren Heimatländern nicht gab, hier in Deutschland zu nutzen. Das deutsche Bildungssystem, die Demokratie und die Stellung der Frau in der deutschen Gesellschaft ermöglichen den Frauen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Thanyia sieht darin ein großes Geschenk, dass sie dankbar annimmt. Sie, das Kind aus dem syrischen Dorf, möchte etwas im Leben erreichen, damit ihre Kinder in der Zukunft auf ihre Mutter stolz sein können (noch ist sie unverheiratet und kinderlos, die Bildung geht vor!).
Wir sind schon heute stolz auf sie und wünschen Thanyia viel Erfolg in ihrem Studium und in ihrem neuen Leben in Steinfurt. Sie wird es mit Bravour meistern, da sind wir uns ganz sicher!
Wir danken Lili für diesen Beitrag und Thanyia dafür, dass sie uns an ihrem Erfolgsweg teilhaben lässt!!!
Quelle Titelbild: Michael Gaida, pixabay.com
Quelle Campus FH Steinfurt: https://de.wikipedia.org/wiki/FH_M%C3%BCnster#/media/Datei:FH-Campus_Steinfurt_EGU_2013.png
Fotos aus den Kursen: Lili Panchulidze-Brömstrup