Im Januar haben wir euch anhand des Werdeganges unserer Kollegin Evelin Ulrich bereits gezeigt, wie das BIMS-Motto „Lernen mit Zukunft“ auf höchstem Niveau umgesetzt werden kann.
Heute widmen wir uns einem jungen Mann, dessen Lebensgeschichte so beeindruckend ist, dass sie den allergrößten Respekt und die höchste Form von Anerkennung verdient.
Lieber Hadi, herzlichen Dank, dass wir deine Geschichte hier darstellen dürfen. Du bist ein großes Vorbild und dein Werdegang und dein Fleiß wird vielen Menschen Mut machen.
Geboren und aufgewachsen in Afghanistan
Hadi Hosseini wurde am 1. November 1999 in Behsud, im Osten von Afghanistan geboren. Er ist der dritte Sohn der Familie und hat noch vier Brüder und zwei Schwestern. Er ist zunächst in Behsud, auf dem kleinen Hof der Familie in den Bergen, aufgewachsen. Hadi bezeichnet die Zeit von damals als ruhig und friedlich. Ein Ort, an dem er sich wohl gefühlt hat. Mit dem kleinen Hof hat sich die Familie selbst versorgt und alle Familienmitglieder haben mitgeholfen. Manchmal haben sie Verwandte in Kabul besucht, zur Schule sind er und seine Geschwister nicht gegangen. Ihnen wurde alles, was sie dort wissen mussten, von ihrem Vater oder den älteren Brüdern beigebracht.
Hadi hat schon als kleiner Junge Schafe gehütet und ist sehr stolz darauf, dass er so früh eine so wichtige Aufgabe bekommen hat. Im Alter von neun Jahren hat er zudem als Erntehelfer und später als Aushilfe in Kabul in einer Bäckerei gearbeitet.
Dari ist seine Muttersprache, er spricht aber auch fließend Farsi. Auch Urdu und Hindi kann er verstehen. Inzwischen spricht er außerdem Englisch und natürlich Deutsch.
Hadis Kindheit in seinem Heimatland ist geprägt von Armut und Sorgen. Er und seine Familie gehören zu den mehr als 6 Millionen Afghanen, die seit 1980 in die benachbarte Republik Pakistan oder den Iran flohen. Bis heute wird Afghanistan vom Islamischen Staat bedroht und weiterhin von Seiten der Taliban voller Gewalt kontrolliert.
Auch die Lage der Menschenrechte ist nach wie vor schlecht. So sind häusliche Gewalt, Zwangsehen, die Todesstrafe und Kindesmisshandlungen leider noch immer weit verbreitet.
Von Behsud nach Pakistan und weiter in den Iran
Aufgrund der politischen Situation musste die gesamte Familie fliehen. Sie verloren alles: das Haus, ihren Hof, die Tiere, persönliche Erinnerungsstücke – ihr zu Hause eben. Hadi war damals noch ein Kind, kaum vorstellbar, welches Leid er ertragen musste.
Mit ungefähr 13 Jahren zog er alleine zu seinem Onkel nach Isfahan in den Iran, weil das Leben in Pakistan zu gefährlich wurde. Bei einem Bombenanschlag wurde sein kleiner Bruder schwer verletzt, so dass auch der Rest seiner Familie nicht mehr sicher war. Sie blieben jedoch dort. Hadi arbeitete körperlich sehr hart in einem Garten- und Landschaftsbau, um der Familie Geld schicken zu können. Und er sparte viel. Zu der Zeit im Iran hörte er viel über Europa und wollte fliehen. Zwei Jahre, bis 2015, blieb Hadi dort, dann machte er sich mit gerade einmal 16 Jahren alleine auf den Weg nach Deutschland.
Seine Familie musste er zurück lassen. Seit über sechs Jahren haben sie sich nicht mehr gesehen und Hadi vermisst sie natürlich sehr.
Die Flucht nach Deutschland
Mit den gesparten 2000 Euro bezahlte Hadi die Schlepper. Sie versprachen den Menschen ein sorgloses Leben in Europa und einen sicheren und unkomplizierten Weg dorthin. Nichts davon stimmte. Am schlimmsten war die Strecke vom Iran über die Türkei nach Griechenland, sagt Hadi. Danach wurde es besser. Zu Fuß in den Bergen, auf dem Weg zwischen dem Iran und der Türkei, mussten sie sich stets vor den iranischen Soldaten verstecken. Sie bringen jeden Geflüchteten zurück nach Afghanistan und nutzen auch ihre Gewehre, wenn es sein muss.
Vor allem die Kälte, der Hunger und die Erschöpfung machten den Weg so beschwerlich. Aber auch die vielen Menschen dabei zu sehen, die vor Ermüdung am Wegesrand liegen blieben… Aber Hadi hat nicht aufgegeben, er lief weiter und weiter und weiter. Am Meer angekommen fand er leider auch dort nicht die versprochenen Schiffe vor, die sie weiter nach Athen bringen sollten. So fand auch Hadis Überfahrt in einem kleinen, unstabilen, viel zu überfüllten Schlauchboot statt.
Erste Station Rheine
Mit gerade einmal 17 Jahren ist Hadi im Dezember 2016 alleine in Deutschland angekommen – ohne auch nur ein Wort Deutsch zu können. Eigentlich wollte er immer nach Schweden erzählt er, weil dort viele Schiiten leben. Seine erste Station war jedoch Rheine. Nach ca. einem Monat zog er in die Oxford Kaserne, dann in eine Wohngruppe mit anderen Jugendlichen. Hier fühlte er sich sehr wohl. Aber seitdem Hadi volljährig ist, wohnt er alleine. Dies fällt ihm oft sehr schwer und er fühlt sich einsam, vermisst seine Familie dann noch mehr. Aber er kämpft weiter und gibt auf beeindruckende Art und Weise nicht auf.
Motivation, Ausdauer und ein starker Wille!
In Deutschland angekommen hat Hadi von Beginn an all seine Kraft und Energie in sein Weiterkommen gesteckt. Noch im Jahr seiner Ankunft hat er als Praktikant in der York-Kaserne in Münster als Hausmeister ausgeholfen, Erfahrungen in den Malerwerkstätten Schnitker gesammelt und sich ehrenamtlich in der Fahrradwerkstatt Lila Leeze engagiert. So hat Hadi jede Gelegenheit genutzt, die deutsche Sprache zu erlernen, Erfahrungen zu sammeln, das Land besser kennenzulernen und zu verstehen und Kontakte zu knüpfen. 2017 absolvierte er ein Praktikum bei Edeka, wodurch sich sein Wunsch Verkäufer zu werden, immer weiter festigte.
Im gleichen Jahr, nur ein Jahr nach Einreise, hat er bereits den B2-Sprachkurs besucht und parallel bis zum Sommer 2018 am Ludwig-Erhard Berufskolleg in einer internationalen Förderklasse seinen Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nachgeholt. Hier sei noch einmal erneut anzumerken, dass Hadi in seinem Heimatland nie zur Schule ging! Vor dieser Leistung kann man daher wirklich nur den Hut ziehen. Respekt lieber Hadi!
Der Weg zum BIMS
Seit August 2018 ist Hadi bei uns im BIMS in Münster in dem einjährigen Vollzeit-Kurs „Ich pack´ das“. Der Kurs bereitet die Teilnehmenden auf eine betriebliche Ausbildung und auf den Hauptschulabschluss (Klasse 9 oder 10) vor. Der Kurs mit dem Namen, der auch als Hadis Lebensmotto stehen könnte, umfasst Unterrichtsblöcke im Wechsel mit drei Praktikumsblöcken. Maximal 25 Schülerinnen und Schüler werden von Montag bis Freitag von 8:30 Uhr bis 13:30 Uhr mit modernen Methoden unterrichtet und in Kleingruppen gezielt gefördert.
Auf dem Stundenplan stehen wechselnd Fächer wie Deutsch, Mathematik, Englisch (oder alternativ Hauswirtschaft), Biologie, Wirtschafts- und Soziallehre, EDV sowie ein Bewerbungstraining. Die Lehrer und Lehrerinnen stellen sich dabei auf jede/n Einzelnen individuell ein und erkennen schnell die Stärken, die es zu fördern gilt.
Der Kursleiter von Hadis Kurs, Matthias Decker (im Titelbild rechts), ist dabei besonders stolz auf seinen „Schützling“ und sagt: „Hadi ist eine kleine Erfolgsgeschichte und wuppt seinen Alltag auf beeindruckende Art und Weise ganz alleine. Wirklich bewundernswert.“
Darüber hinaus stehen allen Kursteilnehmenden erfahrene Sozialpädagoginnen zur Seite, die sich in regelmäßigen Gesprächen auch nach dem Alltag, aktuellen Schwierigkeiten, Problemen und dem beruflichen Werdegang erkundigen und tatkräftig unterstützen. Fehlende Kinderbetreuung für eine Ausbildung, Wohnungswechsel, Schulden, Scheidung, Traumata, Aufenthaltsstatus, berufliche Zukunft, mit jedem Thema dürfen sie zu ihrer Ansprechperson gehen. Klar ist, wo ein Wille, da ein Weg! Für jedes Problem wird versucht die bestmögliche Lösung zu finden.
Hadis Sozialpädagogin Anna Niemöller hat jahrelange Erfahrung in der Flüchtlingshilfe/-beratung und auch schon viele der „Ich pack´ das“ Kurse betreut. So hat auch sie schnell Vertrauen zu Hadi aufbauen können, sein Talent und seine Stärken erkannt und mit ihm gemeinsam an seinen Zielen gearbeitet.
Auf dem Bild sieht man den gesamten Kurs bei einem Ausflug in die Innenstadt, schließlich ist es auch wichtig, sich in seinem neuen zu Hause auszukennen und Freundschaften zu knüpfen:
Hadi mit seinen Mitschüler/innen, dem Kursleiter Matthias Decker und der Sozialpädagogin Anna Niemöller (Quelle: Decker/BIMS)
Das scheinbar Unmögliche möglich machen
Schon zu Beginn des Kurses war für Hadi klar: Ich will den Schulabschluss nach Klasse 10 auch noch machen und ganz schnell einen Ausbildungsplatz finden.
Am liebsten sei ihm eine Ausbildung zum Verkäufer im Lebensmittelbereich, aber er zeigte sich auch flexibel in anderen Bereichen – zum Beispiel als Bäckereifachverkäufer, Tischler, Schuhverkäufer o.ä. Das erste Praktikum im Rahmen des Kurses fand dann bereits im November statt und Hadi hatte einen Platz im REWE Markt am Alten Steinweg – genau was er wollte!
Zeitgleich zog er noch ins Kettelerhaus um und bemühte sich um einen Nebenjob bei MC Donalds. Sein Engagement und sein fester Wille werden auch hier wieder einmal deutlich.
Hadi war von seinem Praktikum total begeistert und wollte sich umgehend auf einen Ausbildungsplatz dort bewerben. Darin bestärkten ihn auch sein Vorgesetzter im Praktikum und seine Sozialpädagogin. Gesagt, getan. Die Unterlagen wurden verschickt. Hadi lehnte sich aber keineswegs zurück. Er machte sich frühzeitig Gedanken über Alternativen, falls es bei REWE nicht klappt. So meisterte er zum Beispiel auch ein Vorstellungsgespräch bei Krimphove absolut erfolgreich. Auch über die Berufsschule dachte er nach und bemühte sich um Nachhilfe, um noch sicherer in der deutschen Sprache und in Mathe zu werden. Hadi wird scheinbar niemals müde!
Am 1. Februar erhält Hadi eine E-Mail: ER HAT DEN AUSBILDUNGSPLATZ BEI REWE!!! Kurze Zeit darauf kommt der Vertrag. Alle um ihn herum sind verständlicherweise völlig aus dem Häuschen und freuen sich riesig mit ihm. Er wurde für all seine Ausdauer, seinen Fleiß und für seine Kraft niemals aufzugeben belohnt. Als Erster im Kurs hat er zu einem so frühen Zeitpunkt bereits einen Ausbildungsplatz für 2019. Damit macht er auch den anderen Kursteilnehmer/innen Mut. Herzlichen Glückwunsch lieber Hadi!
Wir wünschen dir auf deinem weiteren Lebensweg von Herzen nur das Beste, Tollste und Schönste und sind uns sicher, dass du das packst. Es freut uns sehr, dass wir dich kennenlernen durften und du Teil des BIMS bist!! Yeah!!